Kapitel 01

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„Bücher sind die Schlüssel zu den Geheimnissen des Lebens und Wissen verbindet die unendlichen Welten miteinander. In den sorgsam formulierten Zeilen von Geschichten und auf den abgegriffenen Seiten von Büchern offenbart sich die Essenz von Verständnis und Weisheit. Jedes Buch ist ein Schatz an Erzählungen, jeder Satz ein Funken von Magie. Im Reich der Worte ist die Brücke zwischen den Welten versteckt – und hier entfaltet sich die grenzenlose Magie des Lebens.“
Auszug aus „Lux et Umbra – Licht und Schatten“ von Nostropheus aus dem Jahr 1.159 des 2. Sternenzyklus Wassermann. Archiviert im Astra Arcanum, der Bibliothek von Peria.

Der frühe Morgen hüllte alles in ein geheimnisvolles Schweigen. Feine Tropfen schwebten wie ein zarter Schleier in der kühlen Luft. Unter den unruhigen Schritten gab das noch nasse Moos schmatzend nach und hinterließ sanft geformte Abdrücke des herumstreunenden Tieres. Seine bernsteinfarbenen Augen glitten unentwegt zwischen den uralten, dicht gewachsenen Bäumen hin und her. Der Fuchs konnte unmöglich sagen, wie viel Zeit er bereits damit verbracht hatte, nervös auf und abzulaufen. Er hatte sich entschieden, allein zu kommen, um sein Gegenüber nicht zu verschrecken. Doch mit jeder Minute, die verstrich, wuchs seine Anspannung. Er grübelte darüber nach, wie lange er noch warten sollte und welche Konsequenzen es nach sich ziehen könnte, wenn er ohne das Artefakt zurückkehren müsste. Er grub seine scharfen Krallen in die Rinde eines nahen Baumes, getrieben von einem Impuls aus Nervosität und Angst vor dem, was sein Scheitern bedeuten könnte.
Plötzlich wurden seine Sinne hellwach. Ein Knistern durchzuckte die Stille und der Fuchs, dessen Herz für einen Wimpernschlag den Takt verlor, verharrte in seiner Bewegung. Sein Fell schimmerte kurz im Zwielicht, bevor er mit einer fließenden Geste der Pfote die Luft vor sich zu einem schillernden Schleier verwob. Die Illusion, ein Meisterwerk der Tarnung, ließ ihn mit der Umgebung verschmelzen, so dass er unter dem schützenden Mantel der Unsichtbarkeit verborgen blieb.
Auf das nächste Knacken war der Fuchs vorbereitet. Seine Augen fixierten die Gestalt, die sich mit achtlosen Schritten näherte. Jeder noch so kleine Zweig, der unter den unbedachten Tritten des menschlichen Eindringlings brach klang wie ein Poltern in den feinen Ohren des Tieres.
Langsam ließ er seine Illusion verblassen und schälte sich behutsam aus dem Schatten des Baumes hervor, als wäre er auch eben erst angekommen. Wie erwartet, zuckte sein Gegenüber trotzdem zusammen. Der Fuchs imitierte ein Gesicht, das Zuversicht und Geduld ausstrahlen sollte. „Du hast mich erschreckt, Fuchs!“ Mit einer sanften Neigung seines Kopfes signalisierte der Fuchs eine stille Entschuldigung und hielt dabei respektvoll Abstand, um keine Furcht zu erwecken. „Es tut mir leid, dass ich so spät dran bin“, gestand die Person. „Ich habe alles noch einmal überdacht und glaube, wir sollten nach einer alternativen Lösung suchen. Es fühlt sich einfach nicht richtig an.“ Der Fuchs hob den Kopf. „Was ich damit sagen will“, fuhr sein Gegenüber fort „ist, dass ich meine Meinung geändert habe und das Artefakt zurückgeben werde. Das wollte ich dir mitteilen, deshalb bin ich hier.“
Unruhig wippte der Schwanz des Fuchses hin und her. Dieser Moment könnte den gesamten Plan zum Scheitern verurteilen, eine Option, die er nicht zulassen konnte. Er ließ die gerade gehörten Worte erneut in seinem Kopf kreisen. Die Aussage „dass ich das Artefakt zurückgeben werde“ deutete stark darauf hin, dass es sich in unmittelbarer Nähe befinden musste. Somit war es nicht länger im Astra Arcanum sicher verwahrt und die Sternenhüter würden das Fehlen bald bemerken. Die Zeit drängte, der Fuchs musste rasch handeln. Er bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen und neigte seinen Kopf leicht, um Interesse zu signalisieren. Die Gestalt warf ihm einen unsicheren Blick zu, unschlüssig darüber, wie der Fuchs auf die Information reagieren mochte. „Nun, dann werde ich mich jetzt zurückziehen und schlage vor, dass wir in Verbindung bleiben, um einen alternativen Plan zu finden. Ich möchte keinen Ärger mit euch und bedauere, dass du umsonst hergekommen bist.“ Mit einem kaum hörbaren Schnauben setzte der Fuchs sich auf seine Hinterläufe, eine bewusste Demonstration seines Wunsches, ebenfalls keinen Streit heraufzubeschwören. Menschen vermochten die feinen Gesten der Tiere selten zu deuten, weshalb er auf klare und übertriebene Signale setzen musste. Die Person wendete sich zum Gehen, sichtlich erleichtert darüber, dass das Gespräch – sofern man diesen einseitigen Austausch so nennen konnte – ohne Zwischenfälle geendet hatte.
Der Fuchs nutzte den Moment der Unachtsamkeit, um seine Magie zu wirken. Mit einer grazilen Bewegung glitten seine Pfoten sanft über den Waldboden und ließen Schatten und Licht auf geheimnisvolle Weise miteinander tanzen. Die Luft vibrierte leicht und ein sanftes Flimmern war das einzige Zeichen, dass hier eine andere, verborgene Wirklichkeit entstand. Nun nur noch ein Schatten unter Schatten folgte er der Gestalt auf leisen Sohlen. Sollte sie einen Blick zurück werfen, würde sie nichts als den vertrauten Anblick des Waldes erblicken, in dem der Fuchs scheinbar immer noch regungslos verharrte, eine Illusion, die ihn unsichtbar machte und gleichzeitig anwesend erscheinen ließ.
Am Rande einer Lichtung machte der Mensch halt, wo ein ungewöhnlich ordentlicher Haufen aus Ästen und Moos sorgfältig arrangiert worden war. Ein misstrauischer Blick glitt über seine Schulter, bevor er sanft das kühle, feuchte Dickicht beiseiteschob und einen versteckten Beutel zum Vorschein brachte.
In diesem Moment brach der Fuchs, dessen Sinne auf den entscheidenden Augenblick gewartet hatten, aus seinem Versteck hervor. Mit einer fließenden Bewegung katapultierte er sich in einem kraftvollen Sprung vorwärts. Seine Zähne blitzten auf, als er den Beutel geschickt ergriff und mit ihm in die nebelverhangenen Tiefen des Waldes entfloh.
Ein Echo des flehentlichen Rufens verfolgte ihn, doch es verhallte bald im Rauschen des Waldes. Das Tier spürte einen Stich im Herzen, ein Hauch von Reue vielleicht, – doch er lief weiter, denn seine Pfoten folgten einem unsichtbaren Pfad geformt aus Instinkt und Notwendigkeit, den nicht einmal das Mitleid ändern konnte.

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